Messen um zu managen
„Was man nicht misst, kann man auch nicht managen“ – diese bekannte Aussage ist die Grundlage und treibende Kraft hinter der Nachhaltigkeitsberichterstattung und -regulierung. In einer Welt, die seit Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten an die Finanzberichterstattung gewöhnt ist, sind neue Parameter und Datenpunkte wie CO2-Emissionen oder Wasserverbrauch, die wir zur Messung der Nachhaltigkeit benötigen, noch Neuland. In dieser Hinsicht hat die Welt innerhalb weniger Jahre schnell neue Reporting-Paradigmen etabliert. Der Haupttreiber dahinter: Regulierung.
Laut Anna Petersen, Direktorin von KPMG Norwegen, zeigt der „globale Versicherungssektor ein klares und zunehmendes Engagement für die Nachhaltigkeitsberichterstattung“.1 Europäische Unternehmen sind führend bei der Einführung neuer verbindlicher Standards wie der CSRD /ESRS (Corporate Sustainability Reporting Directive und European Sustainability Reporting Standards), die zu standardisierten und besser vergleichbaren Offenlegungen führen. Ein wichtiger Schwerpunkt dieser Vorschriften liegt auf klimabezogenen Finanzangaben, einschließlich Netto-Null-Verpflichtungen und detaillierten Transitionssplänen. Im Jahr 2025 hat das Vereinigte Königreich die UK Sustainability Reporting Standards (UK SRS) eingeführt, die auf dem globalen IFRS-Standard (International Financial Reporting Standards) mit einigen regionalen Anpassungen basieren und somit eng an einen weltweit verwendeten Standard angelehnt sind.2
Ein großer Teil der globalen Versicherer berichtet jedoch weiterhin auf freiwilliger Basis nach Rahmenwerken wie GRI (Global Reporting Initiative) oder IFRS. Nachhaltigkeitsberichte enthalten zunehmend detailliertere Analysen wie verschiedene Klimaszenarien und umfassende Daten zu Treibhausgasemissionen sowie Transitionspläne. Auch Informationen zu Natur und Biodiversität gewinnen an Bedeutung, befinden sich jedoch weltweit noch in einem frühen Stadium.
Nachhaltigkeitsstandard für Versicherer

In den letzten Jahren haben Finanzinstitute weltweit zusammengearbeitet und eine neue Initiative namens PCAF ins Leben gerufen, um einen einheitlichen Berichtsstandard für die Finanzbranche zu entwickeln. Mit PCAF können Versicherer einen harmonisierten Ansatz zur Bewertung und Offenlegung von versicherungsbezogenen Treibhausgasemissionen (THG) umsetzen. Die erste Version des Standards enthält detaillierte methodische Leitlinien für die Messung und Offenlegung von THG-Emissionen in zwei Segmenten: Kfz-Versicherungen für Privatkunden und gewerbliche Versicherungen. Dieser Standard ist Teil C des globalen Standards für die Bilanzierung und Berichterstattung von Treibhausgasen für die Finanzindustrie. Globale Versicherungskonzerne wie Allianz, AXA, Aviva, Generali, Liberty Mutual, Lloyds, Munich Re, QBE, Swiss Re, Tokio Marine und Zurich gehören zu den 16 Mitgliedern der PCAF-Arbeitsgruppe für versicherungsbezogene Emissionen.3
Die Natur ins Boot holen
Der Verlust von Natur und Biodiversität wurde als eines der Hauptrisiken identifiziert, die Communities und Lieferketten weltweit betreffen. Die gute Nachricht ist, dass diese Risiken auf der Agenda der europäischen Versicherer immer mehr an Bedeutung gewinnen. Da bessere Datenpunkte verfügbar werden, spielt Technologie eine Schlüsselrolle bei der Messung der Auswirkungen auf natürliche Ressourcen. Dies erleichtert es den Versicherern erheblich, die regulatorischen Anforderungen zur Berichterstattung über verschiedene Themen wie Wasserressourcen, Umweltverschmutzung, Renaturierung, Entwaldung usw. zu erfüllen. Start-ups wie Nature Alpha, Gentian oder Kuyua liefern Daten und Analysen zu Natur und Biodiversität, die Versicherer sowohl für die Berichterstattung als auch für das Underwriting nutzen können.
EU - doppelte Wesentlichkeit für eine breitere Perspektive

Die EU hat die Perspektive der doppelten Wesentlichkeit eingeführt. Das bedeutet, dass Unternehmen sowohl über ihre Auswirkungen auf Menschen und Umwelt (Inside-Out- oder Wirkungsperspektive) als auch darüber berichten müssen, wie Umwelt- und Sozialthemen finanzielle Risiken und Chancen für das Unternehmen mit sich bringen (Outside-In- oder Finanzperspektive). Die Umsetzung der doppelten Wesentlichkeit geht über die Berichterstattung hinaus – sie zeigt das Engagement eines Versicherers für nachhaltige Praktiken im gesamten Unternehmen.4
Die meisten europäischen Versicherer haben die doppelte Wesentlichkeitsprüfung eingeführt und ihre Erkenntnisse und Ergebnisse veröffentlicht – wie dieses Beispiel von Generali anschaulich zeigt: Double Materiality Assessment.
Versicherer an bord für Omnibus
Um die Berichtspflichten von Unternehmen zu vereinfachen und zu straffen, hat die EU die sogenannten Omnibus-Pakete eingeführt. Mit diesen Änderungen in mehreren Rechtsvorschriften wie der CSRD möchte die EU sicherstellen, dass sich die Berichte stärker auf aussagekräftige Informationen konzentrieren und unnötiger bürokratischer Aufwand vermieden wird.5 Die Initiative „Stop-the-Clock” verschiebt die Meldefristen und -pflichten für kleine und mittlere Unternehmen erheblich.
Versicherer sind von dieser neuen Entwicklung in zweierlei Hinsicht betroffen – als EU-Unternehmen hinsichtlich ihrer Berichtspflichten und als Versicherer von gewerblichen Risiken. Da ein großer Teil der KMU von der Omnibus-Verordnung betroffen ist, werden den Versicherern bei der Bewertung der Nachhaltigkeitsrisiken von Unternehmen, Gewerbeimmobilien und anderer damit verbundener Risiken, Daten fehlen. Wenn keine oder nur begrenzte Daten verfügbar sind, könnte dies zum Ausschluss bestimmter Risiken aus dem Versicherungsschutz oder zumindest zu hohen Versicherungsprämien für bestimmte Risiken im kleinen und mittleren Segment führen.6
Während die meisten Versicherer und Versicherungsverbände wie der GDV die Omnibus-Initiative der EU unterstützen, um ihre Berichtspflichten zu verringern, gibt es auch Stimmen wie die von Eurosiff7 die Bedenken hinsichtlich einer Gegenreaktion auf die Dekarbonisierung und den natur-positiven Wandel äußern.
Spanien hat gerade eine neue Gesetzgebung zur obligatorischen Offenlegung von Klimadaten für in Spanien tätige Unternehmen und öffentliche Einrichtungen eingeführt – und schafft damit Klarheit in einer Zeit, in der sich die EU-Vorschriften im Wandel befinden. Spanien reagiert damit auf die immer häufiger auftretenden und schwerwiegenden Auswirkungen des Klimawandels, darunter Rekordtemperaturen, Waldbrände und Überschwemmungen, von denen das Land in den letzten Jahren heimgesucht wurde. Ab 2026 müssen zahlreiche Unternehmen, die entweder in Spanien eingetragen sind oder dort geschäftlich tätig sind, ihre Treibhausgasemissionen melden und glaubwürdige Pläne zu deren Reduzierung veröffentlichen.8
Wir werden in den nächsten Jahren sehen, wie sich der Fokus von Versicherern auf wesentliche Aspekte und geringere Berichtspflichten tatsächlich auf Umwelt und Menschen auswirkt, während sie gleichzeitig rentabel wirtschaften.
KI als Game Changer für das Berichtswesen und darüber hinaus

Während Omnibus zwar den Berichtsaufwand für EU-Versicherer verringert, werden die Berichtspflichten aufgrund neuer Vorschriften und Analyseanforderungen weiterhin eine Herausforderung darstellen.
Neue Möglichkeiten im Bereich Daten und KI werden dazu beitragen, mehr Transparenz und Schnelligkeit in die Nachhaltigkeitsberichterstattung einzubringen. Dies wird umso wichtiger, als die Granularität und die Komplexität der Nachhaltigkeit zunimmt und immer mehr Datenpunkte verfügbar werden.
Mit KI können Versicherer ihre Daten- und Recherchefähigkeiten optimieren und Gap-Analysen sowie Benchmarking automatisieren. KI-gestützte Echtzeit-Informationen helfen ihnen, Offenlegungen sofort zu analysieren und zu vergleichen. Unternehmen wie Manifest Climate bieten Nachhaltigkeitsinformationen einschließlich Gap-Analysen anhand verschiedener Berichtsstandards. Datenpunkte aus der ESG-Analyse können für das Underwriting in gewerblichen Sparten genutzt werden, und wenn Versicherer diese Daten in ihrem zentralen Underwriting-System bzw. ihrer Cloud-Plattform zur Verfügung haben, können sie Risiken schneller und besser bewerten und genauer tarifieren.
Nachhaltigkeitsreporting wirksam einsetzen
Insgesamt werden Regulierung und Reporting zum Thema Nachhaltigkeit oft als Belastung empfunden, während ihr Wert in den Hintergrund tritt. Sie ermöglichen es Unternehmen jedoch nicht nur, Vorschriften einzuhalten und ihre Berichtspflichten zu erfüllen, sondern helfen ihnen auch, ihr Geschäft und ihre Auswirkungen auf Geschäftsmodelle, Umwelt und Ökosysteme und die Gesellschaft insgesamt besser zu verstehen.
Unternehmen, die nicht nur Nachhaltigkeitsvorschriften einhalten, sondern bewusst auf Nachhaltigkeit setzen und mit Purpose führen, profitieren von einer besseren Reputation und können die junge Generation – sowohl Kunden als auch Talente – leichter für sich gewinnen.
Nachhaltigkeitsmaßnahmen gehen zunehmend mit besseren Finanzergebnissen einher. Unternehmen, die Nachhaltigkeitsbemühungen priorisieren, haben oft geringere Ausgaben aufgrund einer effizienteren Ressourcennutzung und eines besseren Abfallmanagements. Darüber hinaus können diese Maßnahmen neue Wege für nachhaltige Angebote eröffnen, Innovationen fördern und den Umsatz steigern.9
Da das Geschäftsmodell von Versicherern auf Risikomanagement basiert, sind sie stark von klima- und nachhaltigkeitsbezogenen Risiken betroffen, verfügen jedoch auch über große Hebel, um Resilienz und ökologischen Wandel voranzutreiben. Im zweiten Teil dieses Blogartikels werden wir diskutieren, wie Regulierung die Nachhaltigkeit in der Versicherungsindustrie zu neuen Horizonten führen kann.
1Quelle: https://www.linkedin.com/pulse/sustainability-reporting-practices-worlds-largest-anna-pettersen-0nqqf
2Quelle: https://davidcarlin.substack.com/p/a-practical-guide-to-uk-sustainability
3Source: https://carbonaccountingfinancials.com/en/standard#c
4Source: https://www.actuarieelgenootschap.nl/actueel/navigating-sustainability-understanding-double-materiality-in-insurance
5Source: https://www.gdv.de/gdv-en/topics/regulation/the-eu-s-omnibus-packages-why-they-matter-for-insurers-190666
6Source: https://www.kennedyslaw.com/en/thought-leadership/article/2025/the-impact-of-the-omnibus-on-corporations-and-insurers/
7Source: https://www.eurosif.org/press-room/eurosif-warns-omnibus-proposals-risk-undermining-investment-and-competitiveness/
8Source: https://www.iss-corporate.com/resources/blog/spain-introduces-mandatory-climate-disclosure/
9Source: https://instituteofsustainabilitystudies.com/insights/guides/sustainability-reporting-the-many-advantages-for-businesses